Sonntag – Marschieren, Mimosen und Mini-Becher

Veröffentlicht am 7. Juni 2025 um 11:46

Zwischen Delirium und Dorfromantik

Du wachst am Sonntag nach einer durchzechten Nacht auf. Der Kopf tut weh, der Magen grummelt, und dein Körper flüstert: „Mach das nie wieder.“ Wenn du Glück hast, bist du im eigenen Bett gelandet – ob in Montur oder ausgezogen, völlig egal. Wenn’s ganz blöd lief, wachst du beim Nachbarn am Tisch nach dem Eieressen auf, halbes Bier noch vor dir. Verschalt! Oder noch schlimmer: in einem fremden Bett mit fremder Bettwäsche. Aber egal – es muss weitergehen. Tradition verpflichtet.

 

Noch funktioniert dein Körper. Irgendwie. Du richtest dich auf, sammelst die letzten Synapsen zusammen und merkst: Du bist ein Schatten deiner selbst. Der Gang ins Bad bestätigt das: Dieses Gesicht kann wirklich nur eine Mutter lieben.

Fix unter die Dusche, um wenigstens äußerlich wie ein Mensch auszusehen. Der Magen verlangt nach Füllung – also ein paar Karos reingeschoben, literweise Kaffee hinterher. Für Bier ist es noch zu früh. Noch.

 

Dann folgt der erste Versuch der Regeneration auf dem Sofa – kurz Luft holen, bevor es wieder heißt: Antreten. Na bravo.

Beim Weg zur Halle triffst du auf Gestalten, die so aussehen, wie du dich fühlst: beschissen. Und trotzdem – irgendwie wird das schon. Denn Etikette ist Etikette. Sonntag ist ein hochheiliger Tag – da gibt’s keine Marscherleichterung, auch nicht bei 40 Grad. Jackett bleibt an. Basta.

 

Währenddessen herrscht im Königshaus reger Betrieb. Der Hofstaat trudelt langsam im feinsten Zwirn ein – Sonnenbrille inklusive. Selbst bei Regen. Die Schnittchen gehen rum, die ersten Flaschen Warsteiner ploppen. Und dann erscheint sie: Die Königin. Restauriert, rausgeputzt, traumhaft schön. Noch ist Zeit, also: ein Sektchen geht noch. Na dann – Prost.

 

Und wieder die spannende Frage: Gibt der König die Marscherleichterung? Oder lässt er seine Leute in der Hitzeschlacht brutzeln? Meist hat er Erbarmen. Man munkelt, die Königin habe ein Machtwort gesprochen.

 

Im Dorf ist auch langsam Bewegung. Fahnen, die über Nacht einen Salto hingelegt haben, werden mit Besenstiel und Zaunlatte entwirrt – die Parade kommt schließlich gleich vorbei. Bei manchem steigt der Puls, wenn der Stoff noch im Fahnenmast hängt wie 'ne nasse Socke.

 

Sobald das Trömmelken ertönt, strömt das Volk zur Parade. Manch einer braucht halt einen besseren Blick – vom Balkon oder der Terrasse. Muss man haben.
Die Kapelle zieht ein, wir sehen die Königin von weitem. Jedes Jahr ein Spektakel. Wetten über die Kleiderfarbe sind längst abgeschlossen. Der Festzug stellt sich auf, Musikverein spielt den Petersburger, und der ganze Tross zieht an der Menge vorbei.

Dann geht’s in die Halle. Und jetzt wird’s kritisch:

Angst vorm ersten Bier.
Die ersten 10 bis 15 gehen runter wie ein dickes Kind auf der Wippe. Aber wenn die Schwelle überwunden ist, läuft’s.

Da Sonntag Freibier ist, nicht nur Bier auch nicht alkoholische Getränke, gibt’s das Ganze stilecht aus Zahnputzbechern. Klein, aber oho – unterschätzt die Dinger nicht! Du hast mindestens zwei in der Hand, immer. Willst du kurz verschnaufen, kommt schon das nächste Tablett um die Ecke.

 

Wer holt, holt nicht nur eins – sondern ein ganzes Trägerlein oder Tablett. Bis du zurück bei deiner Truppe bist, ist meist schon die Hälfte leer. Also: direkt wieder los.

Sonntags ist’s etwas leerer, man findet sich wieder. Neue Gesichter tauchen auf. Die Ureinwohner feiern endlich mit – ganze Familien inklusive. Eltern aufgepasst: Die Schnuckelbude hat ihre ganz eigene Preisgestaltung. Und Brause aus dem Klo – ja, das gibt’s wirklich.

 

Der Musikverein spielt auf, der Hofstaat lauscht andächtig. Bei gutem Wetter steht der Rest draußen. Plötzlich hörst du’s: Trömmelken, Jungschützen, Meter Bier – die Jungschützentaufe steht an. Danach: Königstanz!

 

Die Frauleute strömen in die Halle, bilden einen Kreis. König samt Königin tanzen ein feines Ründchen. Nach dem ersten Lied darf der Hofstaat mit rein. Und dann geht’s rund. Wer Tanzen kann, zeigt’s. Wer nicht – nun ja.

Der Frauenkreis klatscht im Takt, bis es endlich heißt: Präsentiermarsch – zurück zum Königstisch.

 

Um 19 Uhr ist dann Kindertanz angesagt. Sobald „Ihr Kinderlein kommet“ erklingt, wissen alle: Jetzt geht’s los. Die Halle füllt sich, Groß und Klein drehen sich im Kreis. Ententanz, Bonbonregen, Kinderaugen leuchten. Die Königin wirft mit Elan, und die Kinder tauchen ab wie im Schwimmbad – auf Beutejagd. Danach bringt der Spielmannszug den Nachwuchs heim. Aber vorher: Feuerwasser! Und wehe, du gehst nicht tief genug – der Dirigentenstab kennt kein Erbarmen.

 

Der Abend nimmt Fahrt auf. Am Bierwagen spielt der Musikverein Thekenmusik, es wird geschunkelt, gesungen und getrunken. Der Plan, nach dem Kindertanz nach Hause zu gehen? Wird verworfen. Wie jedes Jahr.

 

21 Uhr: Polonaise.
Man hebt den Hintern, greift irgendeine Hand – und los geht’s. Komische Konstellationen garantiert. Auf irgendeinem Hof wird noch mal getanzt – oder so ähnlich. In der Halle wird der DJ warm, die Stimmung heiß.

Währenddessen: Der Vorstand fegt, hantiert mit Besen und Schüppe.

Die Polonaise kehrt zurück, und die Party geht los. Und ja: Die Abferkelbox (aka Sektbar) hat wieder auf. Aber heute: definitiv nein danke.

 

Zwischendurch tauchen die Jungschützen mit Bauchläden auf. Socken, Aufkleber, Duftbäume – alles dabei. Und ja, mit drei Bier zu viel kauft man das auch noch.

 

Gegen 1 Uhr wird der König nach Hause gebracht. Wer noch stehen kann und noch nicht im Bett liegt, geht natürlich mit – ein letztes Bier geht immer. Oder wenigstens ein halber – für den Magen, versteht sich.

Währenddessen rückt in der Halle der Vorstand aus – oder besser gesagt: die Vorstandsfrauen.
Mit Lappen, Eimer und Elan wird die Halle wieder auf Vordermann gebracht. Tische abgewischt, neue Tischdecken drauf, alles akkurat ausgerichtet. Schließlich muss am Montag wieder alles tipptopp dastehen – Schützenfest ist kein Ponyhof.


Morgen ist Montag. Und der Autopilot ist bereit.

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